von Marieme Agne
Während unserer Exkursion nach Almería hörten wir einiges über Supermärkte und ihre Rolle in der andalusischen Landwirtschaft. Das Urteil fiel meist negativ aus: Supermarktketten seien große und machtvolle Akteure, die den größten Einfluss auf die Preisgestaltung für landwirtschaftliche Produkte und somit letztendlich auch auf die Arbeitsbedingungen der Arbeiter*innen in den Gewächshäusern und Verpackungshallen vor Ort haben. Es dauerte einige Tage, bis dieses für uns mittlerweile schon stark verfestigte Bild für einen kurzen Moment ins Wanken geriet. Von der lokalen NGO ACOGE Almería hörten wir das erste Mal seit unserer Ankunft etwas Positives über eine große Supermarktkette.
Juan Miralles, der Vorsitzende der Organisation in der Provinz und Pilar Castillo, die Koordinatorin von ACOGE in Almería Stadt, erzählten von einem von der deutschen REWE Group finanzierten Projekt. Das Projekt ist im Rahmen des Pro-Planet Labels entstanden, einem von der REWE Group eigens ins Leben gerufene Siegel zur Sicherung von ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit (mehr zu Lebensmittelzertifizierung). Bevor jedoch näher auf die Einzelheiten der Kooperation eingegangen wird, wird die NGO Almería ACOGE kurz vorgestellt.
Almería ACOGE: Hilfe zur Selbsthilfe
Im multiethnischen Stadtteil Fuentecica liegt der Sitz von Almería ACOGE. Zwischen 30 und 40 Prozent der Bewohner*innen von Fuentecica sind nicht-spanischer Herkunft, sie kommen aus Osteuropa und Subsahara-Afrika, wie uns Juan und Pilar später erzählen. Almería ACOGE ist eine gemeinnützige Organisation, die 1987 gegründet wurde und zum andalusischen Netzwerk ACOGE Andalucía gehört. Das spanische Wort acoger bedeutet so viel wie empfangen oder beherbergen. Die Organisation steht für ein interkulturelles Almería. Ihr Ziel ist es, Migrant*innen die Teilhabe in der Gesellschaft zu ermöglichen und sie zu Bürger*innen Almerías zu machen. Um dieses Ziel zu erreichen, sieht Almería ACOGE nicht nur die Migrant*innen selbst in der Pflicht, sondern auch die alteingesessene Bevölkerung der Aufnahmegesellschaft.
ACOGE möchte einen Ort der Begegnung schaffen und eine erste Anlaufstelle für neu ankommende Menschen in Almería sein. Die Mitarbeiter*innen und Ehrenamtlichen bieten Beratung und Informationen, inklusive rechtlicher Belange und Sprachkurse. Neben der Arbeit in ihrer direkten Umgebung in Fuentecica ist ACOGE auch in El Puche aktiv, einem weiteren migrantisch geprägten Stadtteil Almerías am östlichen Stadtrand. Rund 70% der Bewohner*innen El Puches sind nicht-spanischer Herkunft und von dieser Gruppe sind über 90% marokkanischer Herkunft.1 Da die Belange der Bewohner*innen Feuntecicas, ähnlich wie in El Puche, von den städtischen Behörden in einigen Bereichen vernachlässigt werden, ist eines der Ziele von ACOGE, den Stadtteil gemeinsam mit den Bewohner*innen für diese wieder lebenswerter und schöner zu gestalten (dazu mehr hier). So erzählen Juan und Pilar z.B. von gemeinsamen Müllsammelaktionen, die die unzureichende bzw. sogar ausbleibende städtische Müllentsorgung kompensieren soll oder vom Anlegen und der Bepflanzung von Grünflächen im Stadtteil.
Bei Aktionen wie der Bepflanzung von Grünflächen oder dem Müllsammeln geht es ACOGE vor allem um die Beteiligung aller – Alteingesessene oder Zugezogene – und um die Selbstorganisation der Bewohner*innen des Viertels. Die Organisation versucht, ihre Arbeit und Angebote immer wieder an die Nachfrage der betroffenen Gruppen anzupassen und hat als Handlungsgrundlage den Ansatz, mit den Menschen gemeinsam und nicht für sie zu arbeiten. ACOGE legt Wert darauf, die Menschen zu befähigen, ihre Probleme selbst zu lösen und dabei das Selbstbestimmungsrecht und die Würde dieser oftmals stark benachteiligten Gruppen zu respektieren und zu schützen. Eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe ist ihrer Ansicht nach die Voraussetzung für eine erfolgreiche und dauerhafte gesellschaftliche Teilhabe von Migrant*innen in Almería.2
Was bedeutet es als NGO staatliche Aufgaben zu übernehmen?
Der Umstand, dass originär staatliche Aufgaben von NGOs übernommen werden, ist ein – besonders in der Entwicklungspolitik – häufig auftretendes Phänomen. In diesen Fällen sind Staaten entweder nicht in der Lage, oder nicht gewillt, ihren Bewohner*innen bestimmte öffentliche Dienstleistungen bereitzustellen. NGOs springen dann häufig ein und übernehmen eine Art Kompensationsrolle in den Bereichen, in denen staatliches Handeln ausbleibt.3 Zwar ist es, wie in dem Fall in Fuentecica, wo ACOGE die Müllsammelaktionen mitorganisiert, gut, dass diese Aufgaben wenn schon nicht vom Staat, von irgendjemandem übernommen werden. Doch begeben sich NGOs damit auch in eine ambivalente Position: Indem sie Aufgaben des Staates übernehmen, nehmen sie diesem gleichzeitig den Druck, etwas an der Situation zu ändern. Damit wird weniger das Problem an der Wurzel gepackt und nachhaltig gelöst, sondern eher eine Art Nothilfe geleistet.4 Auf der anderen Seite fühlen sich NGOs den Menschen, mit und für die sie arbeiten verpflichtet und wollen sie mit ihren Problemen nicht allein lassen, so wie ACOGE die Bewohner*innen Fuentecicas. Eine weitere Ambivalenz, die sich aus der Rolle von NGOs entwickelt, ist die der Un-/Abhängigkeit. Der Begriff der Nicht-Regierungsorganisation deutet auf ihr Selbstverständnis hin. Jedoch können oder wollen sich viele NGOs nicht allein aus Mitglieds- oder Spendengeldern finanzieren und erhalten finanzielle Unterstützung von Staaten, internationalen Organisationen, Staatenverbünden oder Unternehmen. Dies birgt die Gefahr der Abhängigkeit und der – teils unbewussten – Beeinflussung ihres Handelns.5 Auch ACOGE zählt zu ihren Prinzipien die Unabhängigkeit und die Autonomie.6 Ein Teil ihrer Finanzierung wird über öffentliche Gelder realisiert. Es ist ein schmaler Grat. Auf der einen Seite ermöglichen die Gelder Aktivitäten. Auf der anderen Seite stellen sich NGOs oft gerade gegen Politiken und Praktiken der Staaten, von denen sie kofinanziert werden.7
Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach?
Pilar und Juan erzählen leidenschaftlich von ihrer Arbeit. Angesprochen auf ihre Tätigkeiten mit Menschen, die in der Landwirtschaft Almerías arbeiten, erklären sie uns, dass ACOGE in einigen Fällen eine Vermittlungsfunktion zwischen Arbeitnehmer*in und Arbeitgeber*in einnimmt. Die Gewächshausbesitzer*innen wenden sich an sie, wenn sie Arbeitskräfte benötigen und ACOGE vermittelt diesen dann Personen aus ihrem Umfeld, die auf der Suche nach Arbeit sind. Bei ihrer Arbeit mit migrantischen Arbeitskräften in der Landwirtschaft geht es ACOGE in erster Linie darum, dass die Menschen überhaupt einen Lohn erhalten, was in der Realität in Almerías Gewächshäusern leider nicht immer der Fall ist. ACOGE pocht weniger auf die Einhaltung des Mindestlohns von 46,72 Euro, der ohnehin keine große Bedeutung habe, sondern möchte vor allem die Zahlung der in der almeriensischen Landwirtschaft üblichen 32-37 Euro Tageslohn sicherstellen. ACOGE greift bei der Nicht-Einhaltung von Mindeststandards ein, sucht das Gespräch mit den Arbeitgeber*innen und erstattet gegebenenfalls Anzeige gegen diese.
Die SOC-SAT vertritt in dieser Sache eine weitreichendere Position: Sie kämpft für die bedingungslose Einhaltung des Tarifvertrags bzw. Mindestlohns und berät und vertritt von seiner Nicht-Einhaltung betroffene Arbeiter*innen. Die Gewerkschaft ist der Überzeugung, dass die Landwirt*innen trotz des großen Drucks in der Produktionskette – vor allem ausgeübt durch machtvolle Akteur*innen wie die großen Supermarktketten -, nicht von ihrer Verantwortung entbunden werden dürfen, ihre Arbeiter*innen nach dem gesetzlichen Mindestlohn zu entlohnen (mehr zur Gewerkschaftsarbeit und zum Tarifvertrag).
Die Haltung ACOGEs, nicht auf die Zahlung des Mindestlohns zu bestehen, stößt in unserer Gruppe auf gemischte Reaktionen: Ist es besser, in erster Linie die schlimmste Form der Ausbeutung, die Nicht-Bezahlung des Lohns zu bekämpfen, bevor man sich dem viel schwierigeren Kampf um die Einhaltung des Mindestlohns widmet? In den Gesprächen mit den unterschiedlichsten Akteur*innen haben wir immer wieder gehört, dass die Zahlung des Mindestlohns in den wenigsten Betrieben tatsächlich erfolgt. Ein Bauer mit mittlerem Betrieb erzählt uns, dass er seinen Beschäftigten gerne den Mindestlohn zahlen würde, er seinen Betrieb dann aber wirtschaftlich unmöglich halten könne, da der Preisdruck von oben für ihn als kleinen Unternehmer zu groß sei (mehr über Supermarkt- und Discounterketten hier). ACOGEs Strategie folgt also dem Motto: Besser den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Oder ist es für eine NGO in diesem Bereich moralisch schwierig, einer marginalisierten Gruppen, die auf ihre Hilfe und Unterstützung angewiesen ist, zu vermitteln, dass sie sich mit weniger zufrieden geben sollte, als ihr gesetzlich zusteht? Und sabotiert diese Einstellung nicht die Arbeit der SOC-SAT, die sich unermüdlich für die Einhaltung des Tarifvertrags einsetzt?
Dieses Dilemma spiegelt einen Konflikt wider, der auch unter Arbeiter*innen selbst existiert: Auf der einen Seite stehen Migrant*innen, die schon länger in Almería leben und einen gesicherten Aufenthaltsstatus besitzen. Sie kämpfen für ihre Bezahlung nach dem ihnen gesetzlich zustehenden Mindestlohn. Auf der anderen Seite stehen Menschen, die erst vor Kurzem nach Almería migriert sind und teilweise einen illegalisierten Status innehaben. Diese Menschen arbeiten oft aus schierer Notwendigkeit für einen Bruchteil des Mindestlohns.
Der Effekt, der in Andalusien aber auch in vielen anderen Regionen des globalen Nordens zu beobachten ist, nennt sich Unterschichtung. Der von Hoffmann-Nowotny geprägte Begriff der Unterschichtung der Sozialstruktur beschreibt das Phänomen, wenn Migrant*innen überwiegend in die untersten sozialen Schichten einer Gesellschaft eintreten und damit eine neue (unterste) soziale Schicht bilden.8 Migrant*innen besetzen dabei oftmals Positionen, die vorher von der autochthonen Bevölkerung eingenommen wurden. Nach Hoffmann-Nowotny ist diese Unterschichtung meistens mit einem Aufstieg der autochthonen Bevölkerung in höhere soziale Positionen verbunden.9 In Andalusien haben viele Migrant*innen in den letzten Jahrzehnten Positionen in der spanischen Landwirtschaft eingenommen, die vorher von spanischen Arbeitnehmer*innen besetzt wurden. Spanische Arbeiter*innen waren nicht mehr bereit, unter den gegebenen Bedingungen in der Landwirtschaft zu arbeiten und der EU-Beitritt Spaniens eröffnete ihnen lukrativere berufliche Möglichkeiten.10 Auf das in Almería existierende Konkurrenzverhältnis zwischen neueren und älteren Migrant*innen, lässt sich das Modell der Unterschichtung jedoch nur bedingt anwenden. Zwar treten auch hier neu ankommende Menschen in die untersten sozialen Positionen ein, ein Aufstieg der älteren Migrant*innen in bessere soziale Positionen bleibt jedoch oft aus. Stattdessen konkurrieren beide Gruppen um die gleichen prekären Arbeitsplätze und es kommt zu den oben erwähnten Konflikten innerhalb der Arbeiter*innenschaft.
Noch ein Gewächshaus?
Pilar und Juan berichten von ihrer Kooperation mit der REWE Group. Wir sind alle sichtlich überrascht, da das was wir erfahren nicht zu dem passt, was wir bisher zu großen Supermarktketten gehört haben. Die REWE Group unterstützt ACOGE seit nun rund 10 Jahren in einem Projekt in Nijar, einer Gemeinde in der Provinz Almería, circa 40 Kilometer von Almería Stadt entfernt. Das Projekt besteht aus mehreren sich ergänzenden Maßnahmen: Ein “Ausbildungs”-Gewächshaus, das zur Schulung von Migrant*innen im Bereich der Gewächshausarbeit genutzt wird und eine nah gelegene Unterkunft samt Einkaufsmöglichkeit und Großküche. Viele der Arbeiter*innen auf den Feldern in Almería leben inmitten der Gewächshauslandschaft in sogenannten chabolas, notdürftigen Hütten oder Häusern, abgeschnitten vom Rest der spanischen Gesellschaft. Diese chabolas sind manchmal von den Bewohner*innen selbst gebaut, aus den Materialien, die sie gerade zur Verfügung hatten und dabei oft nicht an das Stromnetz und die Wasserversorgung angeschlossen.11 Die Unterkunft von ACOGE ist voll ausgestattet und stellt für viele der oftmals neu in Almería ankommenden Menschen einen ersten Zufluchtsort dar. Inmitten des Plastikmeers, abgeschnitten von größeren Städten oder Ortschaften, haben die Arbeiter*innen keine günstigen Einkaufsmöglichkeiten, was angesichts ihrer prekären finanziellen Lage zu einem großen Problem für sie wird. Deshalb hat ACOGE im Rahmen des Projekts einen Economato eingerichtet, eine Art Supermarkt, mit dem sie keinen wirtschaftlichen Gewinn erzielen und in dem die Menschen Lebensmittel zu erschwinglichen Preisen kaufen können. Außerdem gibt es neben der Unterkunft eine Großküche, in der die Menschen selbstorganisiert und kostengünstig kochen können. Das im eigenen Gewächshaus angebaute Gemüse wird nicht verkauft, sondern für den Eigenverzehr in dieser Großküche genutzt.
All diese Maßnahmen werden zu Teilen aus öffentlichen Geldern und zu Teilen von der REWE Group finanziert. Die Sanierung der Duschen und Umkleiden in der Unterkunft und die Ausstattung dieser mit Möbeln wurde vollständig von der REWE Group übernommen. Sie trägt außerdem laufende Reparaturkosten, die in der Unterkunft anfallen, hat den Economato ein Jahr lang unterhalten und einen Kleinbus finanziert, den wir in der Auffahrt neben dem Büro von ACOGE stehen sehen. Für eine kleine lokale NGO, die sich hauptsächlich durch Spenden finanziert und neben wenigen hauptamtlich Beschäftigten vor allem von ehrenamtlicher Arbeit getragen wird, ist das eine Menge. Juan und Pilar finden ausschließlich positive Worte für ihre Kooperation mit der REWE Group und sagen, dass sie eine der einzigen Supermarktketten sei, die solche sozialen Projekte unterstütze.
Foto: Exkursionsgruppe 1/2018
Nach dem Treffen mit ACOGE bleiben bei uns einige Fragen offen, vor allem in Bezug auf die Kooperation mit der deutschen REWE Group. Angesichts der prekären Arbeitsbedingungen in der andalusischen Landwirtschaft fragen wir uns, ob die Ausbildung von migrantischen Arbeitskräften im Bereich der Gewächshausarbeit überhaupt erstrebenswert ist? Nach allem was wir erfahren haben, sind die Arbeitsbedingungen in diesem Sektor unmenschlich und wir haben mit keinem/keiner Arbeiter*in gesprochen, der oder die den Mindestlohn erhält. Außerdem gehört die Arbeit in Gewächshäusern (zumindest in der Form wie sie in der derzeitigen Situation ausgeführt wird) zu jenen Tätigkeiten, die auch ungelernte Arbeitskräfte ausführen können und die deshalb eigentlich keiner besonderen Ausbildung bedarf. Einige von uns denken deshalb, dass es sinnvoller wäre, das Potenzial der Menschen in anderen Bereichen zu fördern, anstatt den ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen in der andalusischen Landwirtschaft zuzuarbeiten. Zwar gibt es aufgrund der angespannten wirtschaftlichen Lage in Spanien nicht besonders viele Beschäftigungsmöglichkeiten für ungelernte Arbeitskräfte, trotzdem halten wir es für falsch, sich mit den vorherrschenden Missständen zu arrangieren, anstatt das Problem bei der Wurzel zu packen.
Gesellschaftliches Engagement von Unternehmen
Über die Kooperation zwischen ACOGE und der Rewe Group ist im Internet überraschenderweise nicht viel zu finden. Im Geschäftsbericht der REWE Group aus dem Jahr 2009 findet man in dem Kapitel über Nachhaltigkeit lediglich einen Halbsatz zum Projekt.12 Im aktuellsten Nachhaltigkeitsbericht aus den Jahren 2015/2016, wird es überhaupt nicht erwähnt, während andere soziale Projekte, auch außerhalb Deutschlands zumindest kurz vorgestellt werden.13 Auf der Seite des von der REWE Group selbst entwickelten Pro Planet Labels, wird Almería ACOGE als Partner von Pro Planet aufgezählt, das Projekt wird jedoch auch hier nicht näher erläutert14 (mehr zur Lebensmittelzertifizierung hier). Lediglich in einem kurzen Video, das auf der Internetseite der REWE Group sowie auf Youtube verfügbar ist und eher wie ein Imagefilm wirkt, finden sich etwas genauere Informationen über das Projekt.
Nach Aussage von ACOGE steht die Organisation weiterhin in engem Kontakt mit der REWE Group über das Langzeitprojekt in Nijar. Sie informieren das Unternehmen über den Verlauf des Projekts und laufende Aktivitäten, während die REWE Group das Projekt regelmäßig überprüfen lässt. Unsere telefonischen Anfragen bei der REWE Group wurden zwar freundlich entgegengenommen und ein Rückruf versprochen, dieser fand jedoch nie statt. Zwar wussten alle sofort, um welches Projekt es sich handelte, es schien jedoch schwierig, eine Person zu finden, die über den aktuellen Stand des Projekts Bescheid weiß. Angesichts des relativ großen finanziellen Umfangs der Kooperation verwundert es sehr, dass Informationen über das Projekt so schwer erhältlich sind und es nicht öffentlichkeitswirksamer präsentiert wird. Man sollte meinen, dass ein Konzern wie die REWE Group sein soziales Engagement stärker bewerben würde. Der Nachhaltigkeitsbereich der REWE Group ist wie bei den meisten Unternehmen diesen Umfangs recht groß und es gibt einige Projekte im Bereich von Corporate Social Responsibility, in den auch das Projekt mit ACOGE fällt.
Das im angelsächsischen Raum schon länger benutzte Konzept der Corporate Social Responsibility (im Folgenden abgekürzt mit CSR) wird seit den 2000ern auch in Deutschland immer geläufiger und beschreibt die gesellschaftliche Verantwortung und das Engagement von Unternehmen, das über das Minimum ihrer sozialen und rechtlichen Verpflichtungen hinausgeht und auf Freiwilligkeit basiert. Der Gedanke, dass Unternehmen auch gesellschaftliche Verantwortung übernehmen sollen, hat in den westlichen Industriestaaten eine lange Tradition.15 In den letzten Jahren hat das freiwillige soziale Engagement von Unternehmen jedoch ein neues Ausmaß erreicht. Nahezu jedes größere Unternehmen hat eine eigene Abteilung für Nachhaltigkeit, die sich mit Themen wie Umweltschutz, Mitarbeiter*innenzufriedenheit aber auch mit vom Unternehmen unterstützten sozialen Projekten beschäftigt. Viele Konsument*innen verlangen insbesondere von großen Unternehmen neben einer ökologisch und sozial korrekten Wertschöpfungskette ihrer Produkte, dass sie einen Anteil ihrer Gewinne zurück in die Gesellschaft investieren, in der sie diese Gewinne erzeugen und von der sie profitieren. Dies kann auf ganz unterschiedliche Weise passieren: Mit einer klassischen Geld- oder Sachspende oder eben einem Projekt, für das sich das Unternehmen längerfristig engagiert.16 Unternehmen profitieren von solchen Projekten auch: So kann ein Engagement für einen guten Zweck das Image eines Unternehmens aufpolieren und es können neue Kund*innen oder Mitarbeiter*innen gewonnen werden. Unternehmen führen CSR-Projekte also keineswegs aus reiner Selbstlosigkeit durch. So steht das Konzept von CSR auch häufiger in der Kritik: Unternehmen wird vorgeworfen, soziales oder ökologisches Engagement nur für Imagezwecke zu nutzen. Im ökologischen Bereich wird dies Greenwashing genannt, das Äquivalent im sozialen Bereich, wenn es z.B. um Arbeitsbedingungen oder Kinderarbeit geht, wird als Social-Washing bezeichnet.17
Löscht die Feuerwehr ihren eigenen Brand?
Die Frage, die wir uns nach dem Besuch bei ACOGE alle stellten: Wie aufrichtig und glaubwürdig ist das Engagement der REWE Group in Almería? Und ist es nicht ein Widerspruch in sich, dass sich die REWE Group einerseits mit ihrem Projekt aktiv dafür einsetzt, die Lebensrealitäten migrantischer Arbeiter*innen vor Ort zu verbessern, auf der anderen Seite aber mit ihrer Preispolitik (mehr zur Marktmacht der Supermärkte hier) mit dafür verantwortlich ist, dass diese Lebensrealitäten überhaupt einer Verbesserung bedürfen?
Eine Beobachtung, die sich durch unsere Zeit in Almería zieht, ist dass die meisten Akteur*innen, mit denen wir sprachen, den größten Einfluss auf die Produktionskette und somit auch auf die Arbeitsbedingungen der Arbeiter*innen vor Ort, bei den großen Supermarktketten verorteten. Durch ihre Fähigkeit, die Preise festlegen zu können, bestimmen sie auch, wie viel letztlich bei den Produzent*innen bleibt (mehr dazu hier). Und dies ist mitentscheidend dafür, ob die Zahlung des Mindestlohns eingehalten wird und wie sich die tägliche Arbeit für Arbeiter*innen in den Gewächshäusern und Verpackungshallen gestaltet. Es wurde deutlich, dass die Unterstützung der REWE Group für ACOGE eine beträchtliche finanzielle Hilfe darstellt und sie bei ihrer Arbeit mit Migrant*innen unterstützt. In Anbetracht der Rolle und des Einflusses der REWE Group auf die Arbeits- und somit auch Lebensbedingungen migrantischer Arbeitskräfte in der Region Almería, bleibt jedoch ein bitterer Beigeschmack.
Literatur
Almería ACOGE. Principios ideológicos. 04.02.2017.
Braun, Sebastian; Backhaus-Maul, Holger (2010): Gesellschaftliches Engagement von Unternehmen in Deutschland. Eine sozialwissenschaftliche Sekundäranalyse. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Curbach, Janina (2003): Global Governance und NGOs. Transnationale Zivilgesellschaft im internationalen Politiknetzwerken. Wiesbaden: Springer.
Debiel, Tobias; Sticht, Monika (2005): Entwicklungspolitik, Katastrophenhilfe und Konfliktbearbeitung. NGOs zwischen neuen Herausforderungen und schwieriger Profilsuche. S. 129-171. In: NGOs im Prozess der Globalisierung. Mächtige Zwerge- umstrittene Riesen. Hrsg.: Brunnengräber, Achim; Klein, Ansgar; Walk, Heike. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
El País (9.03.2016): El cortijo de los desposeídos. 04.02.2019.
Fuchs-Gamböck, Karin (2006): Corporate Social Responsibility im Mittelstand. Wie Ihr Unternehmen durch gesellschaftliches Engagement gewinnt. München: Economica Verlag.
Frantz, Christiane; Martens, Kerstin (2006): Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Hirsch, Joachim (2001): Des Staates neue Kleider. NGO im Prozess der Internationalisierung des Staates. S.13-42. In: Nichtregierungsorganisationen in der Transformation des Staates. Hrsg.: Brand, Ulrich; Demirovic, Alex; Görg, Christoph; Hirsch, Joachim. Münster: Westfälisches Dampfboot.
Hoffmann-Nowotny, Hans-Joachim (1973): Soziologie des Fremdarbeiterproblems. Eine theoretische und empirische Analyse am Beispiel der Schweiz. Ferdinand Enke Verlag Stuttgart.
Mannon, Susan E.; Petrzelka, Peggy; Glass, Christy M.; Radel, Claudia (2012): Keeping Them in Their Place: Migrant Women Workers in Spain’s Strawberry Industry. International Journal of the Sociology of Agriculture and Food. Vol. 19: 83-101.
Pro Planet: Online abrufbar hier. 04.02.2019.
Relaio Topics: Wäscht jetzt jeder grün? Der schmale Grad zwischen wirklich guter Corporate Social Responsibility und Greenwashing. 04.02.2019.
REWE Group (2009): Geschäftsbericht 2009. 04.02.2019.
REWE Group (2016): Nachhaltigkeitsbericht 2015/2016. 04.02.2019.
Roth, Roland (2005): Transnationale Demokratie. Beiträge, Möglichkeiten und Grenzen von NGOs. S. 80-128. In: NGOs im Prozess der Globalisierung. Mächtige Zwerge- umstrittene Riesen. Hrsg.: Brunnengräber, Achim; Klein, Ansgar; Walk, Heike. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Doku über die Arbeit ACOGEs mit Kindern und Jugendlichen in El Puche: DOCUMENTAL DIGNIDAD EL PUCHE. Completo Almería ACOGE. 04.02.2019.
ARTE Reportage: Spanien: Im Treibhaus schuften. 04.02.2019
Fußnoten
- Decenso de personas inmigrantes El Puche ya supera 70% y en La Chance, cada vez menos; Inmigrados al límite. Los barrios del Puche y las Doscientas Viviendas (Almería)
- Almería ACOGE. Principios ideológicos
- Vgl. Curbach 2003: 101; Hirsch 2001: 30
- Vgl. Roth 2005: 117
- Vgl. Debiel & Sicht 2005: 136 f.; Hirsch 2001:31
- Almería ACOGE. Principios ideológicos
- Frantz & Martens 2006: 28
- Vgl. Hoffmann-Nowotny 1973: 52
- Vgl. Hoffmann-Nowotny 1973: 57
- Vgl. Mannon et al. 2012: 89
- El País. El cortijo de los desposeídos
- REWE Group Geschäftsbericht 2009
- REWE Group Nachhaltigkeitsbericht 2015/2016
- Pro Planet. Partner, Almería ACOGE.
- Vgl. Fuchs-Gamböck (2006): 12 f.
- Vgl. Wäscht jetzt jeder grün? Der schmale Grat zwischen richtig guter Corporate Social Responsibilty und Greenwashing; Vgl. Braun & Backhaus-Maul (2010): 65 f.
- Vgl. Braun & Backhaus-Maul (2010): 67 f.; Vgl. Wäscht jetzt jeder grün? Der schmale Grat zwischen richtig guter Corporate Social Responsibility und Greenwashing