von Laura Dederichs
Der momentan in Andalusien geltende regionale Tarifvertrag, der Convenio Colectivo Provincial de Trabajo en el Campo, wurde 2013 verabschiedet. Verhandelt wurde dieser auf der einen Seite von den zwei Gewerkschaften mit der größten Vertretungsstärke, also der Sindicato Provincia Agroalimentario der CCOO, die sich für spanische und migrantische Arbeitnehmer*innen (in der Praxis vor allem für die mit einem legalen Aufenthaltsstatus) einsetzt und der Federación Provincial Agroalimentaria der UGT, welche für sich die Vertretung der Landarbeiter*innen im Allgemeinen in Anspruch nimmt. Und auf der Arbeitgeberseite verhandelten die Produzentenverbände ASEMPAL (Asociación Empresarial de Agricultores y Ganaderos) und ASAJA (Asociación Agraria Jóvenes Agricultores) und als Verband kleinerer Landwirte der Region die COAG-Almería (Coordinadora de Organizaciones de Agricultores y Ganaderos de Almería). Die SOC-SAT ist bereits seit den 1980er Jahren von den Tarifverhandlungen für den landwirtschaftlichen Sektor ausgeschlossen, da sie nur weniger als 10% der betroffenen Arbeiter*innen vertreten.1
Der Kollektivvertrag beinhaltet Vorgaben zur Regelung der Arbeitsentgelte, der Arbeitsbedingungen und der längerfristigen Anstellung für die Arbeitenden in den Treibhäusern und Verpackungshallen der Region. Seine Gültigkeit wurde zunächst auf vier Jahre festgelegt. Während dieser Zeit sollten die Löhne jährlich steigen (von 46,06€ für 8 Stunden Arbeit in 2013 auf 46,72€ in 20152) und die Tarife nach Ablauf des Vertrages neu verhandelt werden. Doch dies ist bis zum heutigen Tag noch nicht geschehen. Laut Mitgliedern der SOC-SAT liege dieses vor allem an dem geringen Willen der involvierten Verhandlungspartner, die momentane Vereinbarung – möglicherweise noch zu Gunsten der Arbeiter*innen – zu verändern. Das System basiere auf der möglichst geringen Bezahlung von Arbeitskraft und dem Ziel, die Gewinne der Unternehmen zu steigern. Und dem steht die Neuverhandlung und Diskussion von regional geltenden Tarifen zuwider.
Wie der Mindestlohn umgangen wird
Daher stellt vor allem Lohnraub, also das Nicht-Einhalten der kollektivvertraglich vorgesehenen Löhne, ein häufig von Arbeitgeber*innen praktiziertes Instrument zur Verringerung der Produktionskosten dar. Aufgrund von immer weiter verzweigten Produktionsketten und der damit zunehmend eingeschränkten Handlungsspielräume der Landwirtinnen, seien die Löhne – wie uns auch ein in El Ejido angetroffener Produzent berichtet – das einzige, das noch kontrolliert werden könne.3 So wird von Tagessätzen zwischen 32 und 37€ – papierlose Arbeiter*innen verdienen lediglich um die 20€ am Tag –, nicht bezahlten Überstunden, selbstzuleistende Transportkosten und deutlich überstiegenen Arbeitszeiten berichtet. Die Mitglieder der SOC-SAT verwiesen auf Fällen in Lagerhallen, in denen teils 14 bis 18 Stunden pro Tag gearbeitet wurden. Laut unserer Gespräche mit der SOC-SAT vergehen manchmal ein bis zwei Jahre ohne Bezahlung – unabhängig davon, ob der Arbeiter oder die Arbeiterin dokumentiert oder undokumentiert in Spanien lebt. Dabei ist der für die Region Almería beschlossene Kollektivvertrag, verglichen mit den umliegenden Provinzen Andalusiens, bereits der niedrigste und seit 2006 nicht wesentlich erhöht worden, obwohl Lebenshaltungskosten stetig stiegen.4 Die Finanzkrise tat ihr Übriges und hat die Situation nachhaltig verschärft. Zudem scheitere die Wirksamkeit des Tarifvertrages am fehlenden politischen Willen die beschlossenen Regelungen zu kontrollieren. So finden, wie uns diverse Gesprächspartner*innen berichten, Arbeits- und Betriebsinspektionen nur sehr selten statt und sind zudem häufig vorangekündigt, woraufhin illegal und entgegen den Vorgaben ‘problematische’ Beschäftigte kurzfristig aus der Produktion genommen werden können. Auf 17.000 Betriebe kommen dabei 10 Mitarbeiter*innen einer Sondereinheit der Polizei.5 Die Wirksamkeit der Arbeitsinspektion ist damit deutlich einschränkt.
Eine weitere Strategie, die Regelungen des Convenio Colectivo zu umgehen betrifft die Anstellungspflicht der Arbeitenden. So müsste ein*e Arbeiter*in unter anderem nach mehr als zwei Saisons der Beschäftigung in demselben Betrieb – davon wird bei mehr als 180 Tagen Anstellung im Jahr gesprochen – eine sogenannte ‚temporäre Festanstellung‘ erhalten und somit besser bezahlt werden. Dies führt dazu, dass die Arbeiter*innen nicht für ihre gesamte Arbeitszeit offiziell angemeldet und damit auch die vom Betrieb zu zahlenden Sozialversicherungsbeiträge eingespart werden – ein millionenschwerer Betrug am spanischen Sozialsystem. Die ausbleibende Anmeldung und vertragliche Sicherheit von Seiten der Betriebe hat zudem Einfluss auf die Legalisierung der Arbeitenden und den möglichen Nachzug ihrer Familien, für welchen pro Person 320€ auf offiziellen Lohnzetteln nachgewiesen werden müssen. Infolgedessen entsteht seit einigen Jahren ein lukrativer Markt für Arbeitsverträge und andere Papiere.6
Caruso7 führt eine zweite Strategie an: und zwar würden Unternehmen die gleichen Arbeitnehmer*innen immer wieder unter über verschiedene Subunternehmen einstellen, sodass kein einzelnes Subunternehmen verpflichtet ist, einen festen Vertrag zu vergeben. Dabei gehören die einzelnen Unternehmen jedoch zusammen und die Arbeit findet am gleichen Ort statt. Arbeiter*innen würde laut Caruso8 nach zwei Jahren endgültig gekündigt und durch neue Arbeiter*innen ausgetauscht. Er beschreibt weiterhin, dass neue Arbeiter*innen erpresst werden und dazu genötigt werden falsche Lohnabrechnungszettel zu unterschreiben, unbezahlte Überstunden zu verrichten und die zustehenden Ferientage aufzugeben.9 Krankheit oder Schwangerschaft wird keine Beachtung geschenkt und die Arbeitskräfte werden unter Druck gesetzt nicht in Kontakt mit Gewerkschaften zu gehen.10
Weitere „Sparmaßnahmen“ neben dem uns berichteten Lohndumping sind, dass nicht nach Dienstalter bezahlt wird und beim Spritzen der Pflanzen die Mehrheit der Arbeiter*innen nicht mit Schutzkleidung ausgestattet ist. Außerdem findet die Spritzung gleichzeitig mit der Pflückarbeit statt, obwohl nach der Anwendung von Spritzmitteln gesetzlich eine Sperrzeit vorgeschrieben ist. Ebenfalls kommt es vor, dass Arbeiter*innen für die Arbeitsphase bei teils über 50 Grad Celsius in die Gewächshäuser eingeschlossen werden. Neben den katastrophalen Arbeitsbedingungen tragen auch die teils unterirdischen Hygienezustände dazu bei, dass die Arbeiter*innen gesundheitliche Probleme und eine geringere Lebenserwartung haben.
Der Kollektivvertrag: Vereinbarung ohne Wirkung
Wie Olaf Tietje (2015) anmerkt, liegt die praktische Arbeit der spanischen Mehrheitsgewerkschaften in der Aushandlung des Kollektivvertrags, doch setzt sich für die Umsetzung der vertraglichen Regelungen ohne Wenn und Aber lediglich die kleine Gewerkschaft SOC-SAT ein. Sie bietet von Lohnraub betroffenen Arbeiter*innen unter anderem Rechtsberatung und Unterstützung und fordert juristisch nicht gezahlten Lohn ein.1112 Das Institut für Migrationsstudien CeMIR berichtete, dass die Arbeitskosten im Schnitt 45 % des Gesamtpreises der Frucht beim Verkauf an Händlerinnen ausmachen und sich somit Veränderung des Arbeitslohns stark im Handel bemerkbar machen würden. Landwirt*innen haben dadurch einen starken Antrieb die Lohnkosten für ihre Angestellten weiterhin so niedrig wie möglich zu halten.
Die Umsetzung des Convenio Colectivo und des Mindestlohns in der Landwirtschaft ist somit alles andere als einfach. Obwohl dieser theoretisch die Richtlinien der Mindestbezahlung und -standards für landwirtschaftliche Arbeit in der Region definiert und die Beschäftigten vor Ausbeutung und unzureichenden Gegebenheiten schützen könnte, zeigt er in der Praxis nur wenig Wirkung. So ist der Kollektivvertrag letztendlich nur wenig mehr als eine leere Hülle von Maßstäben, die in dem auf Profit ausgelegten System nicht gefüllt wird.
Literatur
Tietje, Olaf (2015): Tagelöhner_innen in Andalusien. Grauzonen der Arbeit. In: Journal für Entwicklungspolitik, 31 (4), S. 105-124.
Behr, Dieter Alexander (2013): Landwirtschaft – Migration – Supermärkte. Ausbeutung und Widerstand entlang der Wertschöpfungskette von Obst und Gemüse. Dissertation.
Caruso, Francesco Saverio (2017): Unionism of migrant farm workers. The Sindicato Obreros del Campo (SOC) in Andalusia, Spain. In: Corrado, Alessandra / Castro Carranza, Carlos de / Perrotta, Domenico (Hg.): Migration and agriculture. Mobility and change in the Mediterranean Area. London: Routledge (Routledge ISS studies in rural livelihoods), S. 277–292.
Junta de Andalucía (2013): Convenion Colectivo Pronincial de Trabajo en el Campo. [Online verfügbar hier, zuletzt geprüft am 26.01.2019]
Dokumentationsfilme
ARTE (2017): „Spanien: Im Treibhaus schuften”. ARTE Reportage. Barrère, Jean-Marie (Regie), Gasser, Gilles / Barrère, Jean-Marie (Autor*innen). Frankreich. [Online verfügbar hier, zuletzt geprüft am 13.11.2018]