Von Felix Keß

Du. Ihr. Jede/r von euch hat die Macht.“1

Ein besseres Leben ist möglich – wenn wir anders konsumieren!”2

Befürworter*innen kritischen Konsums 3 werben mit großen Worten für bewussten Konsum. Wir als Konsument*innen werden dabei aufgefordert unsere (Konsum-)Macht zu nutzen, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Konsument*innen werden als „schlafender Riese”4 bezeichnet, den es aufzuwecken gelte. Oder sie werden mit einem Stier verglichen, der sich noch „von einem Lattenzaun bremsen lässt, weil er nicht weiß wie stark er ist!”5 Den Konsument*innen wird sogar aus einer marxistischen Perspektive die Rolle als Gegenspieler des Kapitals aufgebürdet, denn „die Konsumenten sind dies alles nicht, was die Arbeiter sind. Das macht ihre bislang kaum entfaltete Gegenmacht für die Macht des Kapitals so gefährlich”6.

Zweifelsohne besitzen Konsument*innen große (Nachfrage-)Macht und können damit Einfluss auf Produktauswahl und Produktionsverfahren ausüben.7 Im Rahmen des Beitrags zu Theorie und Praxis von Zertifizierungsverfahren wurde Kritik an Zertifizierungsverfahren und Siegeln als Grundlage eines informierten und verantwortungsbewussten Konsums 8 geäußert. Es wird jedoch auch Kritik am Akt des kritischen Konsums als solchem geübt. Diesem Gedanken wird im Folgenden nachgegangen.

Neben anderen Problemen führe dieser unter anderem dazu, Konsument*innen weitreichende Verantwortung für die Produktion der von ihnen nachgefragten Produkte aufzubürden. Dabei spielen beim Konsum nicht nur die Präferenzen der Konsument*innen eine Rolle, sondern auch die ihre Budgetbeschränkungen sind von Bedeutung. 9Dies bedeutet, dass die Möglichkeit des politischen Konsums (auch) vom jeweiligen Portemonnaies abhängig ist. Dieses Argument verstärkt sich, wenn die Distinktionsfunktion des Konsums mit einbezogen wird. Distinktion bezeichnet dabei die Abgrenzung von Angehörigen anderer sozialer Gruppen. So zeigten und zeigen sich Klassenunterschiede schon immer am Beispiel des Konsums, indem „Essgewohnheiten und Speiseregularien bei der soziokulturellen Grenzziehung [helfen]”10. Dadurch, dass sich nur manche Menschen den wahren, richtigen und vor allem kritischen Konsum leisten können, entsteht Distinktion. Hier wird deutlich, „dass moralische Appelle, die ,richtige’ Kaufentscheidung zu treffen, schnell in Schuldzuweisungen gegen prekäre Schichten (…) abrutschen können”. 11

Des Weiteren wird das Fehlen einer Gesamtstrategie hinsichtlich politischen Konsums kritisiert. Dabei wird bemängelt, dass es nicht nur die Aufgabe der Konsumentscheidung sein darf, für eine gute und faire Landwirtschaft zu sorgen. 12 Existiert keine Gesamtstrategie, kommt es zu einer Privatisierung der Umweltverantwortung: Die Verantwortung für eine intakte Natur wird den Einzelnen aufgeladen.13 Betrachten wir dies vor dem Hintergrund der Megatrends Individualisierung und Globalisierung, erscheint der kritische Konsum schon fast als zwangsläufiges Ergebnis. Hilflos angesichts der globalen Ebene der Probleme, versuchen Verbraucher*innen unmittelbar, im Kleinen, beim eigenen Einkauf die Welt ein bisschen besser zu machen.14 Damit kann zumindest das eigene Gewissen beruhigt werden, ohne zwangsläufig aufwendigere Formen der politischen Organisation ergreifen zu müssen. 15 Gleichzeitig hängt die Engagementform des kritischen Konsums – falls sie denn als solche bezeichnet werden kann – auch von der Beteiligung vieler ab und kann damit doch zu einer kollektiven Aktion werden. In diesem Zusammenhang sprechen manche vom „Einkaufen als politischer Haltung”16. Aber ist damit der Einkauf wirklich politischer oder die Politik vielmehr konsumierbar geworden? Oder dient kritischer Konsum vor allem dazu, sich das Gewissen freizukaufen?

Eine frühe Form der Konsumkritik stellen die Bemühungen der Konsumverweigerung während der 1970er Jahre da. Ziel war es, sich fernab von Läden und Supermärkten selbst zu versorgen. Eine Praxis, die für große Teile der Bevölkerung selbst theoretisch in den Hintergrund gerückt ist. 17 Eine grundlegende Abkehr vom Konsum wird in der Mainstreamkultur nicht mehr in Betracht gezogen: „Die Option, nicht zu konsumieren, ist in diesem Denken schlicht nicht existent”18. Doch darf dabei vor allem in Bezug auf ökologische Nachhaltigkeit nicht vergessen werden: Auch ethischer Konsum bleibt weiterhin Konsum.19

Fazit

Nach unserem Feldaufenthalt in Spanien ging es vielen von uns wie schon anderen zuvor20: Sie wollten erstmal kein Gemüse aus Almería kaufen. Bloß nichts mit den ausbeuterischen Produktionsverhältnissen vor Ort zu tun haben, war der erste Impuls. Daran schloss sich dann jedoch die Folgefrage an, ob es den Menschen vor Ort denn ohne unseren Konsum besser ginge? Wenn wir konsumieren ‒ und in irgendeiner Art und Weise werden wir dies in der heutige Welt tun ‒ bleiben wir nicht unschuldig: „Wenn man aber weniger die persönliche Unbeflecktheit als die Wirkung seines Tuns im Kopf hat, kann man zu dem Schluss kommen, dass ein bisschen korrekt kaufen auch ein bisschen mehr Veränderung bringt” 21. Diesem Appell für die Übernahme von Verantwortung bei jeder Konsumentscheidung möchte ich mich anschließen. Gleichzeitig kann diese individuelle Verantwortung, die von gesellschaftlicher Ungleichheit geprägt ist, kollektives Handeln nicht ersetzen, sondern dieses nur ergänzen. In diesem Sinn darf politischer Konsum nicht erhöht und als Allheilmittel für eine nachhaltige Landwirtschaft verstanden werden. Kritischer Konsum darf nicht zum Feigenblatt des eigenen Handelns – und schon gar nicht zum Ersatz für gesellschaftlichen Wandel – werden.

Literatur

Beck, U. (2002). Macht und Gegenmacht im globalen Zeitalter. Suhrkamp, Frankfurt am Main.

Behr, D. A. (2013): Landwirtschaft – Migration – Supermärkte. Ausbeutung und Widerstand entlang der Wertschöpfungskette von Obst und Gemüse, unv. Diss., Universität Wien.

Behr, D. A. und Bolyos, L. (2008): Schlafende Riesen. Kritik des kritischen Konsums und Thesen zu Brüchigkeit in der Wertschöpfungskette. In: Kurswechsel 3, S. 70-79.

Bormann, S. und Knierzinger, J. (2009): Kauft gute Arbeit. In: Inkota-Dossier 6. [Online verfügbar hier, zuletzt geprüft am 23.01.2019.]

Busse, T. (2006): Die Einkaufsrevolution: Konsumenten entdecken ihre Macht. Karl Blessing Verlag, München.

Caswell, J. A. und Mojduszka, E. M (1996): Using informational labeling to influence the market for quality in food products. In: American Journal of Agricultural Economics 78, S. 1248-1253

Greenpeace Österreich (2018): Zeichen-Tricks. Der Gütezeichen-Guide von Greenpeace in Österreich. [Online verfügbar hier, zuletzt geprüft am 23.01.2019.]

Klemz, S. (2008): Alle wollen mehr Bio für mehr Gerechtigkeit. In: iz3w 305, S. 23-25.

Kofahl, D. (2013): Klassenkampf am Kühlregal. In: Analyse und Kritik 587, S. 31.

Vinz, Dagmar (2005): Nachhaltiger Konsum und Ernährung. Private KonsumentInnen zwischen Abhängigkeit und Empowerment. In: Prokla, Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, 138 (1), S. 15-33.

Wissenschaftliche Beiräte für Verbraucher- und Ernährungspolitik sowie Agrarpolitik des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (2011): Politikstrategie Food Labelling. [Online verfügbar hier, zuletzt geprüft am 23.01.2019.]

Fußnoten

  1. Greenpeace Österreich (2018), S. 56.
  2. Greenpeace Österreich (2018), S. 7.
  3. Im Folgenden werden die Bezeichnungen politischer und kritischer Konsum synonym verwendet. Beide bezeichnen die bewusste Auswahl von Konsumgütern unter Beachtung ökologischer und sozialer Aspekte mit dem Ziel eines nachhaltigen Konsums.
  4. Busse (2006), S. 21-23.
  5. Busse (2006), S. 22.
  6. Beck (2002). S. 242.
  7. Caswell, Mojduszka (1996), S. 7.
  8. Busse (2006), S. 145: Greenpeace Österreich (2018), S. 17.
  9. Wissenschaftliche Beiräte für Verbraucher- und Ernährungspolitik sowie Agrarpolitik des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (2011), Vorwort.
  10. Kofahl (2013).
  11. Behr (2013), S. 267.
  12. Behr (2013), S. 265; Bormann, Knierzinger (2009), S. 3.
  13. Vinz (2005), S. 15.
  14. Busse (2006), S. 29.
  15. Behr, Bolyos (2008), S. 73.
  16. Beck (2002), S. 131.
  17. Schibel (2008), S. 534.
  18. Klemz (2008), S. 24.
  19. Ein scharfsinniger Kommentator wies mich – zurecht – darauf hin, dass der Nicht-Konsum bei Lebensmitteln den Tod bedeuten würde. Insofern bezieht sich dieser Abschnitt hauptsächlich auf den Konsum nicht lebensnotwendiger Güter. Trotzdem soll auch die sogar in heutigen Zeiten noch existierende Möglichkeit des Konsums von Lebensmittels ohne vorherigen Kauftakt nicht unerwähnt bleiben.
  20. Behr, Bolyos (2008), S. 75.
  21. Busse (2006), S. 265.